19. Januar 2023
Dornumersiel und Westeraccumersiel, zwei ewig konkurrierende Sielhafendörfer an der ostfriesischen Nordseeküste, waren im 18. und 19. Jahrhundert eine Heimat der Schifffahrt im Zeitalter der Segelschiffe. Hier lebte seefahrendes Volk, Kapitäne und Seeleute, Händler, Schiffbauer und Reeder. 160 Schiffe waren in dieser Zeit in beiden Häfen beheimatet, von der Schaluppe über die Kuff und die Galiot bis zum Schoner. Aber im 19. Jahrhundert wuchs der internationale Handel, und die Schiffe wuchsen mit. Gleichzeitig war die Dampfmaschine für die Schifffahrt einsatzfähig geworden und verdrängte langsam die Segelschiffe. Diese beiden Faktoren raubten den kleinen Sielhäfen nach und nach ihre Funktion, ihre Aufgaben verlagerten sich zunehmend in die großen Flusshäfen an Ems, Weser und Elbe. Was sich nicht so leicht verdrängen ließ, war die Seefahrertradition. Am Lebenslauf von Johann de Bloom läßt sich diese Entwicklung verfolgen. Johann Christoph de Bloom wurde am 13. August 1870 in Dornumersiel geboren. Er stammte aus einer alten Seefahrerfamilie. Sein Vater war Eppe Janssen de Bloom *1842, Ⴕ1928, Schiffer auf großer Fahrt, der selbst Schiffe hier in den Häfen liegen hatte, die RINA in Westeraccumersiel und danach die SIEVERINE in Dornumersiel. Später übernahm er die Gaststätte im Hafen von Westeraccumersiel und war Vormann des hier stationierten Rettungsboote AUGUST GRASSOW. Der Großvater war Heere Janssen de Bloom, Sägemüller in Westeraccumersiel, *1807, Ⴕ1850. Als Urgroßvater wird Hicke Janssen de Bloom genannt, Schiffskapitän in Westeraccumersiel und Sägemüller *1781, Ⴕ1852. Er umsegelte mit der Amsterdamer Fregatte DE HARMONIE Kap Hoorn und machte sich einen Namen als Westindienfahrer. Dessen Vater war Eppe Janssen de Bloom, der aus Dornum stammte und 1776 in Westerbur getraut wurde. Bis zum 14. Lebensjahr besuchte Johann die Schule in Dornumersiel. In den Sielhafenorten achtete man bereits bei der Auswahl der Lehrer besonders auf deren Fähigkeiten im Schreiben, Lesen und Rechnen, denn wer in der Schifffahrt etwas werden wollte, musste später die Seefahrtsschule besuchen. Die Ausbildung dort war anspruchsvoll, wie Schulhefte dieser Schulen eindrucksvoll belegen. Sie war vergleichbar mit der Qualität der heutigen Fachhochschulen, wobei die Schüler allerdings als Voraussetzung nur den Schulabschluss der achtjährigen Volksschule benötigten. Der Einstieg in die Seefahrt Bereits in jungen Jahren begleitete Johann de Bloom als Schiffsjunge seinen Vaters Eppe de Bloom auf der Galiot RINA, die in Westeraccumersiel beheimatet war. Danach wechselte er mit seinem Vater auf den Schoner SIEVERINE, der Dornumersiel als Heimathafen hatte. Diese Fahrten führten ihn nach Königsberg, Göteborg, Amsterdam, Aberdeen und Leith in Schottland. Damit hatte er also Nord- und Ostsee als Schifffahrtsrevier kennengelernt. Später wechselte er auch auf größere Segler in anderen Häfen. Zum Beispiel fuhr er auf dem Vollschiff (Bark) BREMERHAVEN unter Kapitän Barenborg nach New York. Über ein besonderes Weihnachts-Erlebnis auf dieser Fahrt berichtete er in einem Brief an seine Eltern: „Das Wetter war einige Tage gut gewesen. Am Morgen aber gab es schon wieder Schneeböen. Am Nachmittag die Bramsegel bergen. Die Situation verschlechterte sich weiter. Abend erst Marssegel reffen. Dann auch schon die anderen Segel mit beiden Wachen reffen. Schließlich bei immer heftigeren Winden Obermarssegel und Klüver festmachen. Lagen jetzt beigedreht. Es war sehr kalt und naß.“ Es war eine Winterfahrt, die sich durch verschiedene widrige Umstände über das Weihnachtsfest erstreckte. Die relativ nüchterne Aufzählung der verschiedenen Maßnahmen an Bord lassen nur erahnen, wie hart die Arbeit selbst an Heilig Abend war. Ohne maschinelle Hilfsmittel, unmittelbar Wind, Wetter und Wasser an Bord ausgesetzt, das jederzeit winkende Seemannsgrab direkt vor Augen. Doch dann wurde es ruhiger. De Bloom in seinem Brief: „Endlich so gegen 22 Uhr hieß es: Steuerbordwache in die Koje. Dazu gehörte auch ich. Also hinein ins kalte nasse Logis. Nun aber schnell unter die Decken.“ Wie selbstverständlich klingt unter diesen Umständen eine eher lapidare Feststellung des jungen Mannes: „An Weihnachten und Heiligabend dachte kein Mensch.“ Aber in diesem Punkt irrte de Bloom, wie er selbst im weiteren Verlauf seines Briefes feststellte. „Nun hatten wir aber einen Jungen an Bord aus H. Der machte seine erste Reise. Seine Mutter hatte ihm eine Kiste an Bord geschickt, die er erst am Heiligabend öffnen sollte.“ Dieser Junge und seine Kiste sollten entscheidenden Einfluss auf den Verlauf der Nacht nehmen: „Ich wollte eben in die Koje, da hielt er mir die Kiste entgegen. Er bat mich mit Tränen in den Augen, ich möchte ihm doch helfen, Weihnachten zu feiern. Alle anderen wollten nichts davon wissen. Sie hatten schon mit Stiefeln nach ihm geschmissen.“ Johann de Bloom konnte die Situation nicht einfach mit einem Stiefelwurf quittieren und sich aufs Ohr legen. „Jetzt wurde mir doch anders. Nun wollen wir mal sehen, was dir deine Mutter zu Weihnachten schickt,“ sagte er zu seinem Kameraden. Sie öffneten die Kiste und fanden obenauf einen Zettel: “Für dich und deine Kameraden zum Weihnachtsfest von deiner Mutter.“ Natürlich packten die jungen Burschen zügig weiter aus und brachten einige Dinge zum Vorschein: „Ein kleiner Tannenbaum mit 8 Lichtern daran, dann 20 Pakete mit allen möglichen Keksen, Nüsse, Kuchen, zwei Pfund Zucker und zwei Flaschen Rum. Zuletzt der neue Tannenbaum mit weißem Zettel des Weihnachtsevangeliums.“ Als die Kiste erst einmal offen war, waren die Kameraden doch nicht mehr so gleichgültig, wie sie zunächst mit ihren Stiefeln handfest demonstriert hatten. „Alle Mann kamen jetzt heran, jeder war neugierig, sogar die Freien“ , bezeugte der Ostfriese seiner Familie. Und plötzlich war Weihnachten an Bord. Keiner hatte daran gedacht, und doch waren sie von der Stimmung ergriffen. Der Schluß des Briefs: „Der Tannenbaum wurde auf dem Tisch festgenagelt, die Lichter angezündet. Dann musste der Junge das Weihnachtsevangelium vorlesen. Alles war still. Dann stimmte einer an ‚Stille Nacht‘. Alle wurden wie die Kinder.“ Mit anderen Seglern kam er weltweit, Indien, Australien, China und Japan waren in seiner Erinnerung geblieben. Dieser Weg über den Schiffsjungen zum Matrosen war der übliche Berufsweg in der Segelschifffahrt. In den Jahren 1890 und 91 leistete er seinen Militärdienst ab. Vermutlich geschah dies bei der kaiserlichen Marine. Bereits 1891, also nach sieben Jahren Fahrenszeit, erwarb er das Steuermannspatent an der Seefahrtsschule in Timmel. Ein Jahr später hatte er die Berechtigung, Fischereifahrzeuge zu führen. In den Jahren 1894/95 befehligte er den Fischdampfer PAUL der in Geestemünde neu gegründeten Reederei Wurthmann, dann wechselte er zur Reederei Julius Wieting. Für diese Reederei fuhr er nachweislich 1897 von Geestemünde aus mit der BUTJADINGEN bis nach Island auf Fischfang. Am 28. Dez. 1897 erwarb er das Schifferpatent für große Fahrt an der Schifffahrtschule Stade und hatte damit die Berechtigung, beliebige zivile Schiffe auf der ganzen Welt zu befehligen.